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Streit!
Ausgabe #26
Magazin
Wissenschaft bedeutet Streiten. Schließlich geht es ganz wesentlich darum, bislang unbeantwortete Fragen zu klären — und gäbe es auf diese Fragen nur eine mögliche Antwort, wären siae nicht unbeantwortet. So weit, so selbstverständlich.
Die Selbstverständlichkeiten der wissenschaftlichen Streitkultur werden momentan von verschiedenen Entwicklungen erschüttert, die auch die Debattenkultur in anderen Gesellschaftsbereichen erfassen. Das betrifft etwa die Rolle der Wissenschaft im gesellschaftlichen Diskurs. Expertise und Analyse können keine selbstverständliche Autorität mehr beanspruchen, sondern sehen sich zunehmend einer ähnlichen Form der Elitenkritik ausgesetzt wie Journalismus oder Politik. Gleichzeitig beklagen manche das Fehlen großer intellektueller Figuren in der Öffentlichkeit und wünschen sich ein stärkeres Hineinwirken der Wissenschaft in die politischen Debatten.
Darüber hinaus erfasst die Veränderung der Debattenkultur auch den Streit in der Wissenschaft selbst. Die sozialen Medien ermöglichen eine viel schnellere, schärfere und stärker zugespitzte Kommunikation, als das in tradierten Formaten wie Zeitschriften oder Büchern möglich war. Das bietet die Chance zu schnellerer Selbstkorrektur, aber auch das Risiko, dass vor allem diejenigen Gehör für ihre Argumente finden, die über die meisten Follower und somit die größte Reichweite verfügen.
Diese Ausgabe des Junge Akademie Magazins stellt deshalb die Frage, wie guter wissenschaftlicher Streit gelingen kann und welche Herausforderungen sich dabei ergeben. Die einzelnen Texte des Postermagazins beleuchten unterschiedliche Aspekte aus der Perspektive verschiedener Disziplinen. So untersucht der Informatiker Dirk Pflüger, wie sich der Streit in Gesellschaft und Wissenschaft verändert, wenn wir nicht mehr per Briefwechsel, sondern elektronisch kommunizieren. Die Kunsthistorikerin Nausikaä El-Mecky fragt, wer sich überhaupt am Streit beteiligen darf und welchen Habitus er — und vor allem sie — dabei an den Tag legen muss. Der Rechtswissenschaftler Timo Rademacher lenkt den Blick darauf, was es für den akademischen Streit bedeutet, wenn seine Argumente am doppelten Maßstab wissenschaftlicher und anwendungspraktischer Kriterien gemessen werden. Und der Islamwissenschaftler Simon Fuchs überlegt, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Verantwortung haben, sich in politische Debatten einzumischen, auch wenn dabei Differenzierungen verloren gehen.
Vor allem ist dieses Magazin eine Einladung, mehr Streit zu wagen. Streit, so lautet die gemeinsame Überzeugung der Autorinnen und Autoren, kann ausgesprochen produktiv sein. Das setzt allerdings voraus, dass tatsächlich unterschiedliche Positionen zur Geltung kommen. Der Physiker Michael Saliba und der Politologe Lukas Haffert argumentieren, dass dies dann besonders gut gelingt, wenn der Streit nach Regeln ausgetragen wird, die ein klares Herausarbeiten unterschiedlicher Argumente ermöglichen. Und die Physikerin Astrid Eichhorn weist darauf hin, dass ein Streit vor allem dann produktiv ist, wenn die Streitenden selbst ganz unterschiedliche Ideen und Perspektiven mit in die Debatte einbringen.
Am Ende geht es bei einem guten Streit natürlich nicht immer um neue Erkenntnisse, sondern manchmal auch ganz profan darum, wer als Sieger daraus hervorgeht. Welche Streitstrategien sich dabei in der Wissenschaftsgeschichte als besonders erfolgversprechend erwiesen haben, darüber gibt das Poster auf der Rückseite dieses Junge Akademie Magazins einen Überblick. Vielleicht erkennen Sie Ihr eigenes Streitverhalten in einigen der historischen Beispiele wieder ? Und wenn Sie das Poster neben Ihre Garderobe oder an Ihre Bürotür hängen, inspiriert es vielleicht sogar Ihre Besucherinnen und Besucher dazu, neue Streitstrategien an Ihnen auszuprobieren.
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünschen
Lukas Haffert, Oliver Rymek, Erik Schilling, Ricarda Winkelmann
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