Gültigkeit und Sinngehalt dieser Aussagen lassen sich demnach nur in Bezug auf eine zugrunde liegende Perspektive diskutieren. Als Konsequenz aus dem Relativitätsprinzip stellen sich einige Grundsatzfragen, die in verschiedenen Zusammenhängen und zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich beantwortet worden sind.
Ausgehend von den genannten Grundsatzfragen konkretisierte sich die thematische Ausrichtung der AG Relativität in Arbeitsschwerpunkten, die sich unter folgenden Fragen und Aspekten zusammenfassen lassen:
„Warum ist rot eigentlich rot und hat nicht eine andere Farbe?“
Alle sind in ihrer Wahrnehmung mit sich selbst allein – sinnlich, reflektiv, normativ, transzendent, pathologisch. Gleichzeitig sind wir (aus gutem Grund) der Meinung, auch andere hätten Erlebnisse, die unseren irgendwie gleichen – Menschen, auch Tiere, bewusstes Leben, andere Intelligenzen.
„Erlebst du das hier denn jetzt auch gerade?“
Und nicht nur das: wir glauben sogar, über unsere Wahrnehmungen mit anderen sprechen zu können, und zwar in einer Art und Weise, die konsistent ist in dem Sinne, dass das Gemeinte seinen Sinn nicht verliert, wenn es sich auf andere als die eigenen Wahrnehmungen bezieht. Und wir glauben darüber hinaus, uns in andere hinein „versetzen“ zu können. In der Psychologie ist dieser Perspektivenwechsel ein interessantes Feld: Die Frage, ab welcher Altersstufe die Relativität eigener Wahrnehmungen, Attitüden, Emotionen erkannt wird, hat vor allem Entwicklungspsychologen beschäftigt. Auch in der Autismusforschung finden ähnliche Konzepte Anwendung. Wenig untersucht sind dagegen die Variationsbreite der subjektiven ‚Relativität' und deren Determinanten unter gesunden Erwachsenen. Aus der Physik steht folgendes Zitat zur Diskussion: „What the observer knows is inseperable from what the observer is: the physical state of his memory implies his information about the universe. [...] In this manner, the distinction between ontology and epistemology - between what is and what is known to be – is dissolved“. (W.H. Zurek, „Decoherence, einselection, and the quantum origins of the classical“, Rev. Mod. Phys., 75, 715 (2003)).
„Worauf kommt es an?“
- Jeder Beobachter hat einen (gewissen, willkürlichen, unwillkürlichen...) Einfluss auf die Beobachtung. Welche Konsequenzen hat dies für die Relationen zwischen verschiedenen Beobachtern?
- Welche Möglichkeiten und Kriterien existieren für eine sinnvolle Sprache über Wahrnehmungen, Erlebnisse und Beobachtungen?
- Was empfinden wir als relativ? Was sehen wir als allgemeingültig an?
- Was davon trifft von einem anderen Standpunkt aus zu? Wann können wir uns einigen?
Folgende konkrete Fragen sind Ausgangspunkte der Problematisierung:
- Welche sprachlich-logischen Konsequenzen ziehen wir aus der stochastischen Struktur der globalen Beschreibung einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen (d.h. was bedeutet es, dass wir retrospektiv „summieren“, aber nicht auf Einzelfälle extrapolieren können - anders gefragt: welche Realität schreiben wir einer Statistik zu?
- Wie können wir „ästhetische“ Vorgänge „relativistisch“ beschreiben?
- Inwiefern ist eine selbstbezügliche logische Struktur in Argumentationen mit globalem Anspruch notwendig („anthropisches Prinzip“, Hermeneutik, mathematische Logik u.ä.)?
- Wie wirken sich Beschränktheit und Unbeschränktheit unserer Vorstellungskraft bzw. unseres Erfahrungshorizonts auf unsere (ästhetischen, Wert-, Vernunft-, Spontan-, Vor-) Urteile aus?
- Inwiefern sind sie für uns notwendig?
- Warum haben philosophische Konzepte wie De- und Konstruktivismus, Post- und Strukturalismus unsere (alltägliche) Sprache so wenig verändert? Welche sprachlichen Konsequenzen daraus müssen wir eigentlich ernst/ernster nehmen?
- Welche nicht- oder para-logischen Sprechweisen können die Welt (irgendwie anders) ernsthaft beschreiben (wie etwa Haiku, Mystik, Witz, Allegorie, Metapher)?