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Nur Mut!
Ausgabe #09
Magazin
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wollen wir nicht alle unkonventionelle Wege gehen? Wollen wir nicht alle bewegen, was in unserer Möglichkeit steht? Wollen wir nicht alle frei sein von zeitlicher Dichte, von organisatorischen Notwendigkeiten, von kleinlichen Vorbehalten? Für einen kleinen grundlegenden Beitrag in Wissenschaft und Gesellschaft; für ein intellektuelles Leben – für die Kür?
Nur Mut!
Nur Mut! – so offen und auffordernd ist die Haltung der Jungen Akademie. Mutige Fragen stellen und mutige Standpunkte formulieren; den Spagat zwischen den Disziplinen und Arbeitsgebieten versuchen; auch einmal das Scheitern eines Projektes eingestehen, und mutig dann ein neues versuchen. Die Lebensform der Wissenschaft beflügelt uns zuweilen wie ein intellektueller Freibrief; zuweilen verzweifeln wir jedoch an gestückelter Zeit, an fehlender Gelassenheit, an Zukunftsängsten. Wie viel Mut braucht man, um trotz eines befristeten Arbeitsverhältnisses Zeit auf die intellektuelle Kür zu verschwenden?
Fehlt manchmal der Mut? – „Mut gibt es gar nicht“, gab Martin Walser vor etwa 15 Jahren zu bedenken, und er fügte hinzu: „Man muss nur den nächsten Schritt tun. Mehr als den nächsten Schritt kann man überhaupt nicht tun.“ Welche Schritte wir in der Jungen Akademie tun, erfahren Sie, liebe Leserinnen und Leser, regelmäßig in diesem Magazin: in Essays, Streitgesprächen, Werkstattberichten, Denkanstößen, Porträts.
Wohin diese Schritte führen und wohin das Projekt „Junge Akademie“ als Ganzes sich bewegt, ist unvorhersehbar und immer wieder neu auszuhandeln. Die Junge Akademie hofft auf den Mut ihrer Mitglieder zum Dazwischen und zum Querdenken: Dies ist einer der Befunde von Bettina Mittelstraß, die eine Begegnung mit uns wagte. (Nur am Rande: Welchen Raum braucht denn das (Quer-)Denken? Wie lautet da Ihre Antwort?)
Neu auszuhandeln ist auch der Umgang mit der Chancengleichheit im Wissenschaftsbetrieb aus Sicht der neu gegründeten AG Égalité: Anonymisierung, Transparenz, Entmystifizierung – das würde vieles verändern, meinen Susanne Baer, Jutta Dalhoff und Tilman Brück, deren Debatte zu dem Thema hier dokumentiert wird. Nicht zu viel Neues wünscht sich hingegen Bénédicte Savoy. Aus der französischen Perspektive findet sie an der derzeitigen Verfassung deutscher Universitä- ten viel zu loben, das nicht vorschnell vermeintlich mutigen Reformen zum Opfer fallen sollte. Noch einen Schritt weiter geht László Székelyhidi in der Rubrik „Tellerrand“: Nur Mut zur Begeisterung, heißt es bei ihm. Sein persönlicher Gewinn aus dem Jahr der Mathematik war die Rückbesinnung darauf, was ihn (und viele andere) eigentlich in der Wissenschaft hält: die Neugierde auf das Unverstandene und die Lust an Entdeckungsmomenten – beides kostbare Ressourcen, aus denen wir immer wieder schöpfen können. Mut also – zur Begegnung mit der Wissenschaft oder gar zu Wissenschaft als Lebensform.
Zwei weitere Beiträge in diesem Magazin sind unkonventionellen Projekten der vor kurzem abgeschlossenen AG Grenzen gewidmet: Der Materialwissenschaftler Jörg Müssig und die Ethnologin Bettina Beer berichten von ihrer Analyse angeblich nachhaltiger Naturfaserprojekte auf den Philippinen. Nachhaltigkeit, so ihr Fazit, hat jedoch viele Dimensionen, die sich erst durch die interdisziplinäre Perspektive erschließen. Von dieser Perspektive profitierte auch das (ganz anders gelagerte) Projekt, das Bettina Beer mit dem Soziologen Matthias Koenig durchführte: Sie untersuchten die strategischen Praktiken der Grenzziehung und Grenzverwischung, mittels derer sich die „Kulturwissenschaft(en)“ im deutschsprachigen Raum zu etablieren versuchen.
Denkanstöße und wissenschaftliche Grenzüberschreitungen erfährt die Junge Akademie auch mit der Ingenieurwissenschaftlerin Katja Windt und dem Literaturwissenschaftler Martin von Koppenfels, die in diesem Heft porträtiert werden. Weitere mutige Ideen erhoffen wir uns selbstverständlich von den zehn neuen Mitgliedern, die seit dem Sommer 2008 die Junge Akademie bereichern, hier ebenfalls kurz vorgestellt werden und ganz nebenbei einen Dekalog der Jungen Akademie erscheinen lassen.
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen und viel Mut für die ganz persönliche Kür!
Anke Jentsch und Kärin Nickelsen
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