Die kulturwissenschaftliche Analyse von Klangphänomenen ist im 21. Jahrhundert zum beliebten Forschungs- und Experimentierfeld geworden. Tatsächlich handelt es sich hier um ein ursprüngliches Natur-Kultur-Verhältnis des Menschen. Schon in der Bibel kann Gott nicht gesehen, sondern nur gehört werden, und für die romantische Kunstreligion ist die Musik das bevorzugte Medium neuer Transzendenzerfahrung. Das Primat des Sehens wird aber auch heute aus verschiedenen Perspektiven hinterfragt. So gewinnt in der Globalgesellschaft audio engineering derart an Bedeutung, dass Teile der Wissenschaft bereits vom "acoustic turn" sprechen.
Angeborenes und Erlerntes
Trotz der Einsicht in die genetisch verankerte Musikalität des Menschen existiert bis dato wenig gesichertes Wissen über Funktion und Bedeutung von Klängen für die pränatale und kindliche Entwicklung. Immerhin weiß man, dass bereits Säuglinge im Alter von sechs Monaten fähig sind, musikalische Abschnitte periodisch aufgebauter Musik zu identifizieren. Ähnliche Fragestellungen bestimmen die adultorientierte Musikpsychologie und -therapie: Welche Auswirkungen haben Klänge und Geräusche auf Konzentrations-, Gedächtnis- und Denkleistungen? Können bestimmte Arten von Musik das kognitive Potential des Menschen erhöhen?
In diesem Zusammenhang gewinnen auch die sogenannten „musikalischen Universalien“ an Virulenz - Prädispositionen und Merkmale, die nicht erlernt werden, sondern angeboren sind. Wie die Emotionsforschung experimentell nachgewiesen hat, kann der Mensch mit musikalischen Mitteln vier Grundgefühle zureichend identifizieren: Freude, Trauer, Wut, Furcht. Außerdem wurde vor wenigen Jahren entdeckt, dass Säugetiere eine Oktavkartierung haben. Die Skalen aller Musikkulturen sind deshalb oktavbasiert, daneben begegnen aber auch Quinte und Quarte. Anscheinend neigt das Gehirn zu diesen obertonal privilegierten Intervallen, denn Kombinationen von Tönen, deren Frequenzverhältnisse durch kleine ganze Zahlen gegeben sind, erzeugen im Gegensatz zu solchen mit komplizierteren Relationen zusätzliche periodische Muster in Nervensignalen.
Harmonische Struktur und Hörerlebnis
Zudem scheint der Mensch anthropologisch nicht auf äquidistante Skalen programmiert. Die Intervalle zwischen benachbarten Stufen sind bei den Tonleitern fast aller Kulturbereiche unterschiedlich groß. Auf diese Weise lassen sich jedoch Harmonien herstellen, denn die Töne stehen in "hierarchischem" Bezug zum Grundton, und der Hörer kann sich jederzeit vorstellen, welchen Punkt die Musik mit Blick auf ihr Zentrum erreicht hat. Kraft dieser Struktur wird ein kognitiv-emotionaler Nachvollzug von Spannung und Auflösung möglich, der das musikalische Ausdrucks- und Erlebnispotential nachhaltig steigert - bis hin zur Ekstase. Wahrscheinlich liegt darin auch ein Grund für den weltweiten Siegeszug der (Dur-Moll-)Tonalität.
Die AG Klang(welten) wollte diese Erkenntnisse aber nicht nur aktualisieren, vertiefen und erweitern, sondern darüber hinaus fragen, welche Konsequenzen sich hieraus für die (Bildungs-)Politik, (Kultur-)Geschichte, Kunstproduktion/-rezeption und Ästhetiktheorie ergeben.