Preisfrage 2008

Welchen Raum braucht das Denken?

Knapp 300 Einsendungen erreichten uns zur Preisfrage 2008. Vertreten waren wie jedes Jahr zahlreiche Genres, wobei die eindeutige Präferenz bei den Texten (55,74%) lag. Unter den 165 Texten fanden sich 92 Erzählungen und 29 Gedichte, aber auch ein Dramolett und ein Plädoyer. Aus dem visuellen Bereich erreichten uns 87 Beiträge. Acht Prozent der Einsendungen waren Kunstobjekte, unter ihnen Skulpturen, Instrumente, Handarbeiten, Modelle, aber auch zwei Spiele und ein Hut.

Den weitesten Weg legte eine Einsendung aus Alaska zu uns zurück. Die Beiträge aus Europa kamen aus Österreich der Schweiz und aus Serbien. Innerhalb der deutschen Einsendungen kam knapp ein Viertel der Einsendungen aus Berlin (24,25%). Es folgten Beiträge aus Nordrhein-Westfalen (14,93%), aus Bayern und Baden-Württemberg (jeweils 11,94%). 41,90% der Beiträge kamen von Frauen und 54,05% von Männern.

Neben den Preisträgern wählte die siebenköpfige Jury weitere elf Einsendungen für die Publikation im Katalog zur Preisfrage aus, der am 27. Juni 2009 bei der Festveranstaltung der Jungen Akademie in Berlin vorgestellt wurde. Die Kataloge aller bisherigen Preisfragen sind in einer Reihe beim Berliner Wissenschafts-Verlag erschienen und über den Buchhandel zu beziehen.

Preisverleihung

Die Preisverleihung fand am 27. Juni 2009 im Rahmen der Festveranstaltung der Jungen Akademie in Berlin statt. Die Festansprache hielt Thomas Bernhard (gesprochen von Henning Bormann) mit dem Titel: "Alte Meister".

Das Preisgeld wurde gestiftet von der Commerzbank-Stiftung.

Rede zur Bekanntgabe der Preisträger von Richarda Schubotz

Laudatio der Jury

"'Nebengedanken verbringen ihr Dasein in einer Isolation, die nichts mildert, auch nicht ihre gelegentliche Befreiung aus dem Dunkel der Nebenräume, denn wenn man einen solchen Gedanken einmal ans Licht lässt, stammelt es nur geblendet in seinem Hausdialekt, er findet nicht zur universellen Sprache der Fortschritts im Gedanken, die durch alle Haupträume tönt. Und dennoch wäre ohne Nebenräume solcher Fortschritt kaum feststellbar. [...] Die Gewissheit, voranzukommen, ist untrennbar vom Gefühl, vorüberzugehen bzw. zurückzulassen. [...]'. Der Text, aus dem dieses Zitat stammt, ist ein Kaleidoskop, das dem Lesenden immer neue Ausblicke und Ansichten bietet. Die scheinbar verschnörkelten, verspielten Sätze kringeln und ringeln sich um kleine, zunehmend irritierende Spitzen, um dann wie zufällig abzublättern und dabei dem ahnungslos hinterhertapsenden Leser, der sich in einem bunten Bauerngärtlein wähnt, ganz gezielt und mit voller Wucht eine Pointe, eine Essenz zu enthüllen, vor der er staunend steht und gafft. Der Leser wandelt so von Raum zu Raum, vom Abraum zum Freiraum, vom Hohlraum zum Wohnraum, und wenn er im letzten, zwölften Raum angekommen ist, dreht er sich um, um noch einmal zurückzugehen und sich alles ganz genau anzusehen."

(Laudatio der Jury)

Preisträger

1. Preis

„Kosmos“ – von Franziska Junge, Tino Geiß und Martin Rapp

Franziska Junge, geb. 1982, studierte Malerei und Grafik. Sie absolviert derzeit ein Meisterstudium in Malerei und lebt in Leipzig.

Tino Geiß, geb. 1978, studierte Malerei und Grafik. Er absolviert derzeit ein Meisterstudium in Malerei und lebt in Leipzig.

Martin Rapp, geb. 1978, studierte Betriebswissenschaft, Kulturwissenschaften und Philosophie. Er ist als Wirtschaftsjournalist tätig und lebt in Frankfurt am Main.

"Die Welt, das setzt uns immer wieder in Erstaunen, kommt irgendwie in unseren Kopf. Mancher meint sogar, sie sei nur dort. Doch ist es nicht unmöglich, dass das, was Bestandteil des einen ist, zugleich dieses eine umfasst? Der Ausflug mit 26 alphabetisch geordneten Haltestellen ist keine Kaffeefahrt, sondern eine Weltreise, für die man sich zu leicht angezogen hat. Natürlich enthält er nicht alles, dieser Kosmos; er springt von hier nach dort, wobei man nie weiß, wo man als nächstes landet. Die Einträge in diesem Alphabet sind Gedanken über das Denken, Gedankenprotokolle, die gekonnt mit den unterschiedlichsten Bezugsebenen spielen und auf verwirrende Weise - natürlich! - selbstbezüglich sind. Sie handeln von denkenden Menschen, von den Gegenständen unserer Gedanken, von ihrer Organisationsform, von Gedankenschwere und Gedankenleere, von der Fluktuation und den scheinbaren Fixpunkten unserer Denkaktivität. Das Alphabet gaukelt uns vor, man käme einmal von hier nach dort, man käme voran und an und könnte einmal, prinzipiell wenigstens, alles sehen und verstehen. Was auch immer wir mit Denken meinen, kichert dieser Kosmos, es ist omnipräsent und unverortbar. Bitte alle einsteigen, es geht weiter!"

(Laudatio der Jury)

2. Preis

„Denkräume“ – von Jürgen Große, Berlin

Dr. habil. Jürgen Große, geb. 1963, studierte nach einer Ausbildung zum Schriftsetzer Geschichte und Philosophie. Heute lebt er in Berlin und ist teils Buchautor, teils untätig.

"'Nebengedanken verbringen ihr Dasein in einer Isolation, die nichts mildert, auch nicht ihre gelegentliche Befreiung aus dem Dunkel der Nebenräume, denn wenn man einen solchen Gedanken einmal ans Licht lässt, stammelt es nur geblendet in seinem Hausdialekt, er findet nicht zur universellen Sprache der Fortschritts im Gedanken, die durch alle Haupträume tönt. Und dennoch wäre ohne Nebenräume solcher Fortschritt kaum feststellbar. [...] Die Gewissheit, voranzukommen, ist untrennbar vom Gefühl, vorüberzugehen bzw. zurückzulassen. [...]'. Der Text, aus dem dieses Zitat stammt, ist ein Kaleidoskop, das dem Lesenden immer neue Ausblicke und Ansichten bietet. Die scheinbar verschnörkelten, verspielten Sätze kringeln und ringeln sich um kleine, zunehmend irritierende Spitzen, um dann wie zufällig abzublättern und dabei dem ahnungslos hinterhertapsenden Leser, der sich in einem bunten Bauerngärtlein wähnt, ganz gezielt und mit voller Wucht eine Pointe, eine Essenz zu enthüllen, vor der er staunend steht und gafft. Der Leser wandelt so von Raum zu Raum, vom Abraum zum Freiraum, vom Hohlraum zum Wohnraum, und wenn er im letzten, zwölften Raum angekommen ist, dreht er sich um, um noch einmal zurückzugehen und sich alles ganz genau anzusehen."

(Laudatio der Jury)

3. Preis

„C-60-Denken“ – von Albert Markert, Berlin

Albert Markert, geb. 1958, studierte Kunst, Kunstgeschichte, Germanistik und Politik. Er ist freischaffender Künstler und Doktorand am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und lebt in Berlin.

Laudatio der Jury: "Markerts Arbeit beeindruckt unmittelbar durch seine kraftvolle, wilde und leichtfüßige Mischung von Bildern, Texten, Graphiken und handschriftliche Notizen; die Vielfalt der Eindrücke, der Komposition der Teile verwirren uns, regen uns an, begeistern, faszinieren uns. Was aber sollen all diese Fußbälle? Fußbälle? Die Geometrie eines Fußballs entspricht der eines C60-Fullerens, eines Moleküls, das aus 60 Kohlenstoffatomen zusammengesetzt ist - ein Fußballmolekül gewissermaßen. Die Verknüpfung von quasi-wissenschaftlichem Bezug und der Banalität - oder auch der Emotionalität! - des Fußballs bildet den Grundakkord, die Konstante in einer wilden Jagd von Ideen, Assoziationen, Aphorismen und Sprachspielen, die uns berühren und aufwühlen. Die uns normalerweise aufgelegten Fesseln der argumentativen Logik werden ignoriert: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann! Die C-60 Arbeit wechselt permanent die Richtung des Denkens, assoziiert frei vor sich hin und eröffnet einen denkerischen Freiraum, von dem wissenschaftliches Denken nicht einmal zu träumen wagt."

3. Preis

„Kleiner Atlas der Denkräume der Welt“ – von Christopher Walzel, Heidelberg, und Florian Walzel, Berlin

Christopher Walzel , geb. 1984, studiert seit 2003 Philosophie, Physik und Psychologie an der Universität Heidelberg. Derzeit arbeitet er an seiner Magisterarbeit zum Thema Mimesis und Erkenntnis im Zusammenhang mit dem Werk Theodor W. Adornos. 2006 war er gemeinsam mit Florian Walzel Preisträger des Deutschen Studienpreises.

Florian Walzel, geb. 1978, studierte Kommunikationsdesign in Darmstadt und Portsmouth. Er war bis 2007 Gesellschafter des Strategie- und Gestaltungsbüros Loewenherz in Berlin mit dem Arbeitsschwerpunkt Corporate Design. Nachdem er 2008 in Südfrankreich gelebt hat, arbeitet er nun als freischaffender Designer in Berlin. Neben seiner beruflichen Tätigkeit forscht er im Rahmen des Master-Programmes Design Studies über Entwurfsverantwortung und Designethik an der Burg Giebichenstein, Halle.

"Die Welt räumlich fassbar zu machen ist ein uraltes Unterfangen. Doch wenn man sich die Kartierungen der frühen Neuzeit innerlich vor Augen führt mit ihren Versuchen, das Erdrund mit seinen jeweils bekannten Kontinenten darzustellen, wird einem klar, dass Karten nicht die Wirklichkeit zeigen, sondern unser Bild der Welt. Durch das Zusammenstellen vermeintlich nüchterner, objektiver Daten lässt der ?Kleine Atlas der Denkräume" ein neues Verständnis dafür entstehen, in welcher Vielzahl von Räumen sich unser Denken aufhält - und von welchen Räumen es umgekehrt geprägt ist. Er spielt mit unseren Erwartungen, mit wissenschaftlicher Messbarkeit, mit Indizes und Statistiken, mit ihrer Verortung in denk- und undenkbaren Räumen. Uns begegnet der "Diogenes-Index" und der an Heidegger gemahnende "Todtnauberg-Index", aber auch harte Fakten wie das Verhältnis zwischen Militär- und Bildungsausgaben, Energieressourcen oder die Anzahl gedruckter Bücher - alles grafisch liebevoll verräumlicht in zahlreichen Weltkarten."

(Laudatio der Jury)