Wie verhält sich hier die Gegenwart zur Vergangenheit und wie positionieren sich solche Minderheiten generell zwischen einem Beibehalten der eigenen Tradition und einer Anpassung gegenüber ihrem Umfeld? Welche sozialen, religiösen, wirtschaftlichen, aber auch ästhetischen Implikationen sind damit verbunden?
Zudem reagiert das Umfeld, die sogenannte Restgesellschaft, auf die eigenen Minderheiten und schafft Rahmenbedingungen zur gemeinsamen Existenz. Somit beeinflusst eine Minderheit auch die Mehrheit.
Stoßen Minderheiten und Mehrheiten hier immer wieder auf ähnliche Probleme? Oder sind diese grundverschieden? Entstehen daraus Gegenbewegungen oder gar Krisen? Welche externen und internen Faktoren sind hierbei ausschlaggebend? Wie lässt sich ein solcher Prozess über einen längeren Zeitraum hinweg qualitativ oder gar quantitativ bestimmen und beschreiben?
Was hat also der heutige türkisch-muslimische Gastarbeiter mit dem Juden der Antike gemeinsam oder mit dem deutschen Intellektuellen des frühen 21. Jahrhunderts, der im Ausland lebt? Sie alle entwickeln Strategien zwischen Assimilation und Abgrenzung gegenüber ihrem Umfeld beziehungsweise der Restgesellschaft.
Als Grundlage für eine gesellschaftspolitische Debatte, die in Form von öffentlichen Vorträgen geführt werden soll, stehen die Themenkomplexe im Zentrum der AG-Arbeit.
Minderheiten & Mehrheiten
Sich mit „Minderheiten“ zu befassen erfordert, sich als Erstes mit dem Begriff auseinanderzusetzen. Worüber sprechen wir, wenn wir von Minderheiten reden? Geht es um ethnische, soziale, religiöse, kulturelle, nationale Gruppen? Warum bezeichnen wir diese Gruppen als Minderheiten? Minderheiten im Vergleich zu wem? Diese Fragen könnten Teil eines einleitenden Moduls zur Definition des Begriffs sein. Ziel sollte es sein, Kriterien der Kategorisierung festzulegen. Hierbei wäre die europäische Perspektive besonders interessant. Denn jede nationale Tradition spiegelt sich in anderen Praktiken der Benennung des Anderen und auch in den Möglichkeiten der Identifikation der Gruppierungen methodisch-wissenschaftlich wider. So ist in Ländern wie Deutschland und Frankreich ein Wandel der Benennungspraktiken und der statistischen Erhebungspraktiken zu beobachten und gut zu vergleichen.
Integration
Die soziale und ökonomische Integration von Minderheiten in ihr gesellschaftliches Umfeld ist eine Grundvoraussetzung für politischen Zusammenhalt jeder Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung. Da Armut und soziale Härtefälle deutlich häufiger bei Menschen mit Migrationshintergrund auftreten, ist eine gründliche Analyse des differenzierten Zugangs zu Bildung und Arbeitsmarkt von größter Bedeutung. Ethnische Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt hemmen die soziale und geographische Mobilität von Migranten und führen zur Verhärtung von sozialen Problemlagen, häufig in Form ethnischer Enklaven mit spezifischen territorialen Identitäten.
Konflikt
det die in der Nachkriegszeit geläufige vielfache Rede von vertriebenen „Bürgern zweiter Klasse“ mit älteren Kontexten dieses Terminus, der bekanntlich von einem assimilierten und dennoch nie ganz dazugehörigen deutschen Juden oder jüdischen Deutschen - Walter Rathenau - geprägt wurde? Was verbindet den gesellschaftlichen Gruppenkonflikt zwischen Vertriebenen und Alteingesessenen in seinen materiellen wie kulturellen Dimensionen mit der aktuellen Integrationsproblematik zwischen In- und Ausländern oder zwischen Ossis und Wessis? Wie wurde Verfolgung von der Mehrheit organisiert? Der Rekurs auf vergangene Vertriebenen- und Integrationspolitik wirft zudem die Frage auf, was eine auf Umverteilungspolitik zur „Angleichung der Lebensverhältnisse“ reduzierte - und dadurch erst praktizierbare - Integrationspolitik im gesellschaftlichen Konflikt sozialer Großgruppen überhaupt zu leisten vermag.