Vor einem halben Jahrhundert beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als "das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal". Seitdem sind beachtliche Fortschritte in der rechtlichen Verankerung und politischen Implementierung von Menschenrechten erzielt worden. Zugleich werden die Menschenrechte in vielen Staaten und Gesellschaften allerdings auch heute noch verletzt oder umgangen.
Die Arbeitsgruppe Menschen – Rechte untersuchte das komplexe Verhältnis von Menschen und Rechten und beleuchtet dabei Kernthemen des europäischen und internationalen Schutzes von Menschenrechten in interdisziplinärer Perspektive.
Aus der ausführlichen Projektbeschreibung:
Als Forschungsgegenstand gehören die Menschenrechte zu den zukunftsträchtigsten Themen in den Gesellschaftswissenschaften. In vielen Disziplinen ist die Literatur zu Menschenrechten seit den 1990er Jahren geradezu explodiert.
In der Rechtswissenschaft stehen die Menschenrechte – sowohl in ihrer völkerrechtlichen Verankerung als auch in ihrer Form als Grundrechte nationaler und supranationaler Verfassungen – schon länger im Fokus der Aufmerksamkeit. Allerdings ist auch hier eine deutliche Zunahme der Zahl von Forschungsarbeiten zu verzeichnen. Sie entspricht der verstärkten weltweiten politischen Aufmerksamkeit für Menschenrechte. Sowohl im europäischen Verfassungsrecht als auch im Völkerrecht bilden sich zunehmend komplexe Schutzsysteme, welche die Rechtswissenschaft vor eine Fülle ungelöster Probleme stellen. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie die verschiedenen Schutzebenen widerspruchsfrei zusammenwirken können. Die Desiderate hinsichtlich der Vernetzung von rechtswissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Forschung sind besonders groß.
In der Politikwissenschaft wird das Thema Menschenrechte vorrangig innerhalb der Teildisziplin der Internationalen Beziehungen untersucht. Aus transnationaler Perspektive werden dabei vor allem die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung internationaler Menschenrechtsnormen im nationalen Kontext theoretisch beleuchtet und empirisch untersucht („Bumerang-/Spiralmuster“). Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei der Bedeutung von international operierenden Nichtregierungsorganisationen gewidmet, die sich zum einen für die internationale Kodifizierung von Menschenrechte engagieren, zum anderen aber auch für deren nationalstaatliche Implementierung einsetzen.
Auch in der Soziologie hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges eine intensive Forschungsdebatte über Menschenrechte entwickelt. Ausgangspunkt dafür waren zunächst Studien über Staatsbürgerschaft und Bürgerrechte, die allerdings oftmals den Nationalstaat als Bezugsrahmen voraussetzten. Die internationale Verrechtlichung von Menschenrechten wird erst in der neueren Forschung explizit untersucht. Besonders einflussreich sind dabei Arbeiten aus dem Umfeld der neo-institutionalistischen Weltgesellschaftstheorie. Thematisiert die Soziologie (zunehmend) die globale Ebene, so öffnet die Ethnologie den Blick für den lokalen Pluralismus an Menschenrechtsbegriffen. Sie hat insbesondere für die Frage, wie in lokalen Kontexten mit dem globalen Menschenrechtssystem umgegangen wird, wichtige Erkenntnisse erzielt, indem sie Prozesse der Übersetzung auf Voraussetzungen und Veränderungen hin analysiert. Zunehmend widmet sich die Forschung auch Fragen der Wirkung von juristischen Entscheidungen sowie den Bedingungen des Schutzes von Menschenrechten in nicht-konfliktgeprägten Situationen.
Aus Perspektive der Philosophie schließlich gilt es erstens den Begriff der Menschenrechte präzise zu erfassen. Was genau kann und sollte als Menschenrecht gelten? Hier stehen sich in der Forschungsliteratur minimalistische und maximalistische Konzeptionen gegenüber. Zweitens, und damit zusammenhängend, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer moralischen Begründung von Menschenrechten. In welchem Verhältnis stehen dabei beispielsweise Menschenrechte und Menschenwürde? Drittens ist man mit der Schwierigkeit konfrontiert, den universellen Anspruch der Menschenrechte in ein angemessenes Verhältnis zur tatsächlich beobachtbaren Pluralität moralischer Grundüberzeugungen zu setzen. Die Behandlung dieser und verwandter Fragen hat in der Philosophie eine lange Tradition, aber gerade in den letzten Jahren hat die politische Philosophie das Thema „Menschenrechte“ verstärkt aufgegriffen.
Trotz starker Überschneidungen in den Sachfragen bleiben die jeweiligen disziplinären Zugänge bisher weitgehend unverbunden. Wir diagnostizieren daher ein großes Potential für interdisziplinäre Arbeit. Die Arbeitsgruppe führt soziologische, ethnologische, philosophische, politikwissenschaftliche und juristische Perspektiven zusammen. Die Bedingungen innerhalb der Jungen Akademie sind dafür besonders günstig, weil die Menschenrechte Forschungsschwerpunkt mehrerer Mitglieder sind.
Die Arbeitsgruppe erforscht die Thematik Menschenrechte in drei Schwerpunktbereichen. Erstens widmet sie sich normativen Fragen nach der Geltung und Begründung von Menschenrechten sowie nach ihrer universellen oder partikularen Reichweite. Zweitens untersucht sie tatsächliche Prozesse und Bedingungen der Ausbreitung, der faktischen Umsetzung und des Wandels von Menschenrechten im politischen und sozialen Kontext und in der lokalen Rechtspraxis. Schließlich führt sie die unterschiedlichen methodischen Zugänge der beiden ersten Schwerpunkte auf einer Metaebene zusammen und macht dabei die Bedingungen, Chancen und Risiken der interdisziplinären Erforschung von Menschenrechten selbst zum Thema.