Bleibt alles beim Alten? Von dieser Frage geht das Projekt Speakers' Corner aus, das sozialhistorische Texte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert in einen aktuellen Bezug stellt. In einem Pilotdurchlauf haben zwei Schauspieler im Sommer 2013 historische Texte vom Byzanz des 14. Jahrhunderts über das jüdische Mitteleuropa der Aufklärung bis zum Deutschland der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre auf öffentlichen Plätzen in Frankfurt, Berlin und Göttingen rezitiert. Dabei ist die Parallelität gesellschaftlicher Fragen, die uns heute wie damals beschäftigen, frappierend: Pflichten und Rechte der Beamten, die Würde des Mitbürgers und sein Recht auf freie Entfaltung, Steuerhinterziehung, Überwachung durch den Staat, Schutz vor Terrorismus, soziale und psychologische Folgen der Arbeitslosigkeit.
Nach dem Vorbild der Speakers' Corner im Londoner Hyde Park, wo durch einen Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 1872 jeder einen Vortrag zu einem beliebigen Thema halten kann, um das öffentliche Interesse zu wecken, ist die Junge Akademie mit der Veranstaltungsreihe Speakers' Corner im öffentlichen Raum präsent – auf Märkten, in Fußgängerzonen und auf anderen öffentlichen Plätzen des urbanen Raums. Für die Zukunft ist zudem die Nutzung von Speakers' Corners geplant, die in den letzten Jahren in verschiedenen deutschen Städten eingerichtet worden sind. Das Projekt möchte einerseits auf die Aktualität historischer Texte aufmerksam machen und damit die Relevanz der Geisteswissenschaften in einer zunehmend technologisierten, outputorientierten und marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft unterstreichen. Andererseits sollen die öffentlich rezitierten Texte die kritische Auseinandersetzung und Diskussion über aktuelle gesellschaftspolitische Fragen anregen.
Projektidee:
Rebekka Voß ist Juniorprofessorin für Judaistik an der Goethe-Universität Frankfurt.
Katharina Heyden ist Privatdozentin für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen.
Marc Helbling ist Politikwissenschaftler und leitet eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Dramaturgie:
Nina-Maria Knohl studierte Theater- Film- und Medienwissenschaften in Wien. Als Dramaturgin war sie u.a. bei den Salzburger Festspielen und am Schauspielhaus Zürich tätig. Außerdem war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Alexander Kluge.
Rezitation:
Anna Theresa Döing studierte Schauspiel an der Folkwang Universität in Bochum. Ihre bisherigen Engagements führten sie ans Düsseldorfer Schauspielhaus, ans Grillo Theater in Essen und ans Schauspielhaus Bochum.
Florian Reiners absolvierte ein Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar Wien und der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Engagements u.a. am Schauspielhaus Leipzig, Stadttheater Augsburg und Schlosspark-Theater Berlin.
Termine:
Frankfurt (15.08.13), Berlin (17.08.13), Göttingen (24.08.13)
Rezitierte Texte:
Thomas Magister, Untertanenspiegel. Byzanz, 14. Jh.
Naftali Herz Homberg, Bne-Zion. Ein religiös-moralisches Lehrbuch für die Jugend israelitischer Nation. Kap. 9 „Von den Pflichten des Menschen als Bürger“. Wien, 1837 Download
Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Leipzig, 1933