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Preisfrage 2003
Was im Tier blickt uns an?
Jardin des Plantes, Paris. Der alte Mann und der Junge schauen dem Panther lange zu. "Ein so starkes Tier - und kann nicht raus". "Ja", murmelt der Alte und beginnt, leise aufzusagen:
"Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein."
"Der guckt wirklich ziemlich traurig", meint der Junge. "Ja", erwidert der Alte, "und Tiere schauen uns eben auch an." Der Junge wird nachdenklich: "Was mögen die dann denken und fühlen? In Deinem Gedicht geht ein Bild in den Panther, hört aber im Herz auf zu sein. Das finde ich irgendwie komisch. Der Panther schaut uns auch an, stimmt. Aber dann hört da doch nichts auf zu sein! In dem geht bestimmt auch etwas vor". Der Alte schweigt. Nach einer Weile sagt er: "Das genau ist die Frage: Was im Tier blickt uns an?"
Einsendungen
416 Einsendungen von 459 Teilnehmern haben uns bis Ende Dezember 2003 als Antworten auf die Preisfrage 2003 erreicht. Wie in den Jahren zuvor machten auch diesmal Texte den größten Anteil der Einsendungen aus: 280 Texte sind eingegangen, darunter Gedichte, Essays, Erzählungen, Kurzgeschichten, Dramen. Außerdem wurden 34 Fotografien, 30 Gemälde, 25 Zeichnungen, 13 Installationen, 10 Skulpturen, 8 Collagen und Plastiken, sowie Texte mit Bildern. Dazu eine Animation, eine Wort-Klang-Kollage, ein Comic, eine Fotoarbeit, ein Hörstück, eine Klanginstallation, eine Komposition, eine Radierung, ein Kalender, ein Roman.
Rund 78 der Antworten kamen aus Berlin - das sind 17%, also etwas weniger als 2002 (18%) -, 24 aus den übrigen östlichen Bundesländern (7%, wie in 2002), 311 aus den alten Bundesländern (das sind 68% im Vergleich zu 70% im Vorjahr). Von den westlichen Bundesländern liegen Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen mit 85, 71 und 39 Einsendungen vorn (Baden-Württemberg wurde damit von Platz 2 im Vorjahr auf Platz 7 gedrängt). 23 Einsendungen erreichten uns aus dem Ausland, womit die Quote bei 5% wie im letzten Jahr blieb. Die meisten davon kamen aus Österreich, gefolgt von der Schweiz und Frankreich. Den weitesten Weg legte ein Gemälde aus Australien zurück.
Der Anteil von Männern und Frauen unter den Antwortenden hat sich gegenüber dem letzten Jahr erheblich verschoben. Befassten sich mit der Wissens-Frage letztes Jahr nur 36% der Frauen aber 63% der Männer, verhält es sich bei der Tier-Frage nahezu umgekehrt: 57% der Einsendungen kamen von Frauen, nur 43% von Männern. Die älteste Teilnehmerin bei der Preisfrage 2003 ist - soweit das Alter der Teilnehmer uns bekannt ist - die einundsiebzigjährige Margarete Mücke aus Krefeld, der jüngste Teilnehmer ist der neunjährige Jonathan Solbach aus Morsbach.
Auffällig war in diesem Jahr, dass viele Einsendungen eine große emotionale Nähe zum Thema aufwiesen. Sehr oft wurde die Individualität des geschilderten Tieres (dazu gehörten vor allem Hunde und Katzen) hervorgehoben durch die Einsendung vieler Fotos, aber auch die Bedeutung der Tiere für das eigene Leben betont und auf diese Weise das Besondere und Innige der Mensch-Tier-Beziehung zum Ausdruck gebracht.
9 der 416 Einsendungen wurden von der siebenköpfigen Jury für die Publikation in einem geplanten Katalog zur Preisfrage der Jungen Akademie ausgewählt.
Preisverleihung
Die Preisverleihung fand im Rahmen der Festveranstaltung der Jungen Akademie am 3. Juli 2004 in Halle statt. Dabei wurden auch die für den Katalog bestimmten Einsendungen, einschließlich der drei prämierten Werke, für die Öffentlichkeit ausgestellt.
Das Preisgeld wurde gestiftet von der Commerzbank-Stiftung.
Preisträger
1. Preis
„Mimesis“ --- Gemälde von Michael Oliver Flüß, Düsseldorf
Michael Oliver Flüß, Jahrgang 1966, hat von 1987-1995 Humanmedizin in Bochum und Essen studiert und darin auch promoviert, dann 1999-2002 auch Philosophie an der Universität Düsseldorf studiert. 1998 hat er seine Facharztausbildung in Nuklearmedizin und Radiologie begonnen. Er hatte Forschungsaufenthalte am Forschungszentrum Jülich im Bereich Neurowissenschaften und unterrichtet an der Fachhochschule Aachen. Parallel dazu hat er auch eine Ausbildung in Aktmalerei und Zeichnung erhalten und eigene Werkgruppen in Münster und Düsseldorf gegründet. Seit 1989 sind seine Arbeiten in zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen vertreten. Er lebt mit Frau und Kind in Düsseldorf.
Aus der Laudatio der Jury: „Fische, Abflüsse, Maschinen, Namen. Das sieht man auf den Diptychen des Michael Oliver Flüß. Was in den Fischen blickt uns an? Die überraschende Antwort lautet: die Technik, Installationen, Schaltungen, Röhren. Nicht die Natur, nicht das Natürliche, oder gar das Menschliche im Inneren der Lebewesen, sondern etwas Gemachtes, vom Menschen Gefertigtes, Künstliches starrt aus diesen Bildern auf uns zurück. Das kunstvoll Gemachte betrifft nicht nur Schaltungen und Urinoirs oder Fontänen, sondern die Gattung, das Leben selbst. Neue Fischarten sind zu entdecken. Fischmaschinen, Maschinenfische, kybernetische Organismen, Cyber-Fische. Sie anblickend sieht der Betrachter-Mensch immer nur sich selbst. Was bleibt, sind Montagen und Namen. Weisnasen-stör, Kachelsalm, Unschuldskarpfen - jeweils mit lateinischer Denomination. Die mit dem ersten Preis ausgezeichnete Antwort auf die Frage 'Was im Tier blickt uns an?' lädt ein zu einer Kreuzfahrt auf dem Meer der fröhlichen Wissenschaft.“
2. Preis
„Nah Fern Anders“ --- Prosatext von Wolfgang Gretscher, München
Wolfgang Gretscher, Jahrgang 1958, hat von 1979-1986 Anglistik und Germanistik studiert und war im Anschluss daran Studienreferendar. Von 1988-1996 hat er u.a. als freier Übersetzer gearbeitet. Danach war er Redakteur beim Privatfernsehen. Seit 1998 arbeitet er in der Softwarelokalisierung. Er lebt mit seiner Familie in München.
Aus der Laudatio der Jury: „Ausgehend von Rilkes Gedicht 'Der Panther' hören wir die Assoziationen des Erzählers, während er den Panther hinter den Gitterstäben betrachtet. In diesem inneren Monolog greift er verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen Tier und Mensch auf - ein Kaleidoskop düsterer Bilder und Gedanken. Obwohl als Monolog angelegt, bricht der Text in vielstimmige Fragmente, in denen es Gretscher auf kunstvolle Weise gelingt, die Blicke seines Erzählers auf die Tiere mit literarischen Anleihen zu verflechten. Zugleich macht diese Annäherung aber sichtbar, dass sich das Betrachtete immer weiter zu entfernen scheint, je genauer man hinguckt. Die Dialektik der Annäherung verdichtet sich eindringlich im Titel der Arbeit: 'Nah Fern Anders'“.
3. Preis
„Life“ --- Installation von Dominik Dempf, Burghausen
Dominik Dempf, Jahrgang 1939, hat Chemie studiert und 1970 an der TH München promoviert. Danach war er für ein Jahr mit einem DAAD-Stipendium an der Universität Berkeley. Seit 1971 ist er Betriebsleiter in der Chemischen Industrie. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Burghausen.
Aus der Laudatio der Jury: „Dominik Dempf bezieht sich mit seiner Installation in faszinierend verfremdender Weise auf die von Rilke geschilderte Käfig-Situation des Panthers aus dem Jardin des Plantes. So werden die physikalischen Eigenschaften der Skulptur wie die kantigen vergitterten Quader und die glatten, spiegelnden Oberflächen der Kugeln, die an dünnen Drahtseilen hängend fast schwebend wirken, zur Interpretationsfläche. Sie bilden Kontraste, die die Dichotomie Mensch-Tier, Körper-Geist, Innen-Außen, akzentuieren und - betrachterabhängig - Metaphern schaffen. Die einzelnen Komponenten der Installation, die an "Käfige" und "Augen" erinnern, werden durch die variable räumliche Anordnung auf unterschiedlichste Weise miteinander in Verbindung und Spannung gebracht. Die daraus resultierenden kommunikativen Wirkungen beziehen den Betrachter auf vielfältige Weise als Partizipienten mit ein und fordern ihn auf, sich auf eine zunächst vielleicht befremdliche Zwiesprache mit dem Kunstwerk einzulassen.“