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Grußwort von Wilhelm Krull
Die folgende Rede übersandte Wilhelm Krull, der Generalsekretär der VolkswagenStiftung, der Jungen Akademie anlässlich ihrer Gründung. Da er selbst krankheitsbedingt nicht beiwohnen konnte, wurde das Grußwort von einem Vertreter verlesen.
Diese und die anderen Reden zu diesem Anlass sind im Jahrbuch der BBAW 2000 dokumentiert. Das Jahrbuch kann bei der BBAW heruntergeladen oder als Sonderdruck über die Geschäftsstelle der Jungen Akademie bezogen werden.
Wilhelm Krull:
Herr Präsident Simon, meine sehr verehrten Damen, Herr Präsident Parthier, meine Herren,
namens der VolkswagenStiftung bringe ich Ihnen aus Hannover die besten Grüße zur Feierlichen Eröffnung der "Jungen Akademie" und der Berufung ihrer ersten Mitglieder – heute, am Vorabend des 1. Juli 2000, an dem die eine ihrer beiden "Gründermütter", die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 300 Jahre alt wird.
Hannover als Sitz der Volkswagenstiftung habe ich an dieser Stelle natürlich nicht ohne Grund erwähnt. Nein – nicht was Sie jetzt vielleicht denken – nicht um auch an dieser Stelle noch einmal kräftig Werbung für die EXPO zu machen. Inzwischen zeigen die Besucherzahlen ja die erhoffte Tendenz nach oben; nein, nicht aus diesem Grund, sondern weil Hannover jene Stadt ist, in der der Initiator der Berlin-Brandenburgischen Akademie – genauer: der Preußischen Akademie der Wissenschaften – Gottfried Wilhelm Leibniz, den größten Teil seines Lebens verbracht hat. Was wäre also die Berlin-Brandenburgische Akademie ohne die EXPO-, MESSE- und vor allem ohne die LEIBNIZ-STADT HANNOVER?
Doch ich will dem morgigen Tag nicht vorgreifen. Heute geht es nicht um die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, sondern um eine, die es erst noch zu gründen gilt: um "Die Junge Akademie".
Es soll ja Zeitgenossen geben, die die Wortverbindung "Junge Akademie" für ein Oxymoron oder gar für eine "contradictio in adjecto" zu halten geneigt sind und mit dem Substantiv "Akademie" eher das gegenteilige Adjektiv verbinden würden – ganz zu Unrecht übrigens, wenn man sich der antiken Frühgeschichte dieser Institution erinnert. Denn jener Garten, den Platon nach seiner Rückkehr aus Sizilien 387 v. Chr. nahe dem Hain des Heros Akademos vor den Toren Athens erwarb, sollte ja durchaus nicht, jedenfalls nicht in erster Linie ein Ort für "die Alten" – oder sagen wir etwas höflicher: "die Älteren" sein. Was Platon im Sinn hatte und was er, als erste Hochschule des Abendlandes, gründete, war nichts anderes als – eine "Junge Akademie". Sie sehen, bei den "Alten" nachzuschlagen, erweist sich auch hier wieder als ein probates Mittel, um unverwüstlich "Junges" zu Tage zu fördern.
Doch damit genug der historischen Reminiszenz nach dem Motto: "Alles schon einmal da gewesen!"
Noch nicht da gewesen ist meines Wissens das, was in dieser Feierstunde hier und heute geschieht: dass nämlich zwei große, traditionsreiche Akademien, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die – wenn ich es mir richtig notiert habe – noch 48 Jahre ältere Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gemeinsam eine neue wissenschaftliche Vereinigung – "Die Junge Akademie" – gründen. Zu dieser Idee kann man die beiden Präsidenten der "Gründungsmütter", kann man Sie, lieber Herr Professor Simon, und Sie, lieber Herr Professor Parthier, nur von Herzen beglückwünschen. Von daher war es für die VolkswagenStiftung der Sache nach auch gar keine Frage, dass sie sich nach Kräften engagieren würde, als es darum ging, dieser Institution zum Start zu verhelfen – oder genauer gesagt: diese glänzende Idee davor zu bewahren, am Ende womöglich doch bloße Idee zu bleiben. Mit einer Bewilligung über 1,2 Mio. DM für das erste Jahr hat unser Stiftungskuratorium das Signal für die "Junge Akademie" somit wieder auf "Grün" gestellt.
Allerdings – und dies muss bei aller Freude über den heutigen Auftakt ganz deutlich gesagt werden – "über den Berg" ist dieses ebenso wichtige wie ehrgeizige Projekt damit noch nicht. Vorsorglich hat die VolkswagenStiftung ihre Förderzusage denn auch mit der ausdrücklichen Erwartung verbunden (und nach Lage der Dinge verbinden müssen), dass die beiden Gründerakademien ihrerseits Sorge tragen für die Sicherung der Folgefinanzierung (über die weiteren neun Jahre der vorgesehenen ersten Phase). Denn für die VolkswagenStiftung gilt auch hier, dass sie für ein solches Vorhaben nur eine Anschubförderung leisten, nur "anstiften", nicht aber die mittel- bzw. längerfristige (Dauer-)Finanzierung übernehmen kann. Umso mehr hoffen wir natürlich, dass der "moralische Druck der guten Tat" all jene, die hier in der Pflicht sind, dazu bewegen wird, ihr auch nachzukommen – dem eminenten öffentlichen Interesse gemäß, das dieses Projekt mit Recht beanspruchen kann.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch etwas konkreter auf die Gründe eingehen, die die VolkswagenStiftung bewogen haben, für dieses Vorhaben Mittel nicht nur in beträchtlicher Höhe, sondern auch außerhalb ihrer laufenden Schwerpunkte und Programme bereit zu stellen – was sie verständlicherweise nur in besonders gut begründeten Ausnahmefällen tun kann. Ich zitiere dazu zunächst aus der Präambel des "Statuts" der "Jungen Akademie". Dort heißt es:
"Der deutsche wissenschaftliche Nachwuchs hat im mittleren Erwachsenenalter weniger Möglichkeiten als erwünscht, sich autonom und mit institutionell abgesicherter Kraft an der Gestaltung der Zukunft zu beteiligen. Inhalt und Struktur von Wissenschaft und Forschung werden durch das Urteil der älteren Generation geprägt, Weichen aus deren Sicht gestellt. Maßgebliche intellektuelle Ressourcen bleiben somit ungenutzt. Ein Großteil herausragender wissenschaftlicher Leistungen werden im frühen Erwachsenenalter erbracht. Dem wissenschaftlichen Nachwuchs bleibt die Mitgliedschaft in einer Akademie jedoch in der Regel verschlossen. Damit fehlt eine institutionalisierte, an den Leitgedanken des disziplinenübergreifenden akademischen Diskurses orientierte Förderung junger wissenschaftlicher Eliten."
Dies entspricht ganz und gar der Überzeugung der VolkswagenStiftung, für die Nachwuchsförderung ja seit ihrem Beginn eines der großen Anliegen gewesen und inzwischen – ich denke, das kann man in aller Bescheidenheit sagen – auch so etwas wie ein Markenzeichen geworden ist. Und dies nicht erst, seit die VolkswagenStiftung mit ihrer Ausschreibung für Graduiertenkollegs dieser hochschulpolitischen Innovation Mitte der achtziger Jahre zum Durchbruch verholfen hat. Dabei ist es im Kontext der gegenwärtigen universitären Rahmenbedingungen allerdings nicht nur die Förderung des Nachwuchses als solche, um die es der Stiftung geht. Das entscheidende Stichwort lautet – und gerade hier trifft sich unser Interesse als wissenschaftsfördernde Einrichtung mit den Zielen, die die Initiatoren der "Jungen Akademie" verfolgen – das entscheidende Stichwort lautet hier: "frühe Selbstständigkeit".
"Frühe Selbstständigkeit": dies steht als Leitbegriff auch über einem der besonders erfolgreichen und am meisten nachgefragten Programme der VolkswagenStiftung, dem Programm "Nachwuchsgruppen an Universitäten". Denn dessen zentrales Ziel ist es, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit zu eröffnen, frühzeitig Erfahrungen mit der selbstständigen Leitung von Forschungsgruppen zu sammeln, d.h. wissenschaftliche (Führungs-)Verantwortung zu übernehmen und damit nicht nur auf eigenen wissenschaftlichen Füßen stehen zu lernen, sondern auch frühzeitig die für ihre weitere Karriere notwendige Leitungskompetenz zu erwerben und zu erproben. Mittlerweile fördert die VolkswagenStiftung weit über dreißig Nachwuchsgruppen in Universitäten, darunter allein fünf in Berlin. Wie wir aus vielen Gesprächen mit Bewerberinnen und Bewerbern wissen, ist die mit diesem Programm verbundene Möglichkeit, wesentlich früher als sonst im deutschen Hochschulsystem üblich selbstständig forschen und eine eigene Gruppe aufbauen zu können, oft der einzige Anreiz für derzeit im Ausland befindliche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, nach Deutschland zurückzukehren. Rund 40 Prozent der Leitungspositionen in unseren Nachwuchsgruppen werden von ausländischen, vor allem aber von aus dem Ausland zurückgekehrten deutschen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern eingenommen. – Eine Zahl, die uns mit Blick auf die anstehende Reform der Personalstruktur und des Hochschuldienstrechts (darauf komme ich zum Schluss noch einmal zurück) zu denken geben sollte; denn nur mit solch attraktiven Angeboten werden wir in den kommenden Jahren im Wettbewerb um die besten Köpfe unter den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern bestehen können.
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt für die VolkswagenStiftung, sich für die "Junge Akademie" und ihren Start in dieser Weise zu engagieren. Dieser Gesichtspunkt betrifft die inhaltliche Ausrichtung und Profilierung der "Jungen Akademie". Im Jahrbuch der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von 1999 heißt es dazu (S. 368):
"Einzige inhaltliche Vorgabe (für die "Junge Akademie", d.Vf.) durch die Gründer: Es sollen der wissenschaftliche Diskurs und die Kooperation zwischen den Disziplinen gepflegt werden, es sollen Projekte von hoher wissenschaftlicher Bedeutung bearbeitet und Initiativen an den Schnittstellen von Wissenschaft und Gesellschaft ergriffen werden."
Auch dies könnte ebenso gut in einer der Programm-Ankündigungen der VolkswagenStiftung stehen. Dabei ist sich die Stiftung – ich denke, nicht anders als die Initiatoren der "Jungen Akademie" auch – durchaus der Schwierigkeiten bewusst, denen sich jedes Bemühen um Interdisziplinarität gegenüber sieht. Fast jeder fordert sie, doch wenn es konkret wird, wenn es wissenschaftlich gewissermaßen ‘zur Sache geht’ – etwa bei der Besetzung von Professuren –, zucken viele schnell wieder zurück, und es setzen sich alsbald wieder das engere fachliche Interesse und das Denken in Disziplinen durch. Interdisziplinär zu arbeiten ist insoweit leider noch immer alles andere als karrierefördernd.
Und doch gibt es zu solchem wissenschaftlichen Arbeiten über die herkömmlichen disziplinären Grenzziehungen hinweg in vielen Bereichen kaum mehr eine vernünftige Alternative: Das Neue, das uns weiterführt und weiterhilft, entsteht offenkundig mehr und mehr an den Rändern der etablierten Disziplinen und nicht unbedingt in ihrem Kern-, vielleicht sollte man besser sagen: ihrem "Lehrbuch-Bereich". Die drängenden Probleme, bei denen sich die Gesellschaft mit Recht und guten Gründen von der Wissenschaft Antworten und Hilfeleistung erwartet – sie tun uns ja ohnehin nicht mehr den Gefallen, in handlicher disziplinärer Portionierung aufzutreten. Und dies gilt keineswegs nur für die Schlüsselfragen von Klima und Umwelt.
Was also Not tut, ist zunächst einmal das fachübergreifende Gespräch als Grundlage einer substanziellen, sich nicht mit bloßen Etikettierungen zufrieden gebenden interdisziplinären Zusammenarbeit.
Wenn ich mir daraufhin das Fächerspektrum der 20 jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ansehe, die heute in die "Junge Akademie" berufen werden, so bietet es erfreulicherweise reichlich Möglichkeit, zu einem solchen Gespräch über traditionelle Fächerzäune hinweg zu kommen und damit wichtige Schritte auf dem Weg zu mehr Interdisziplinarität in der konkreten wissenschaftlichen Arbeit zu gehen. Ich kann Sie alle nur dazu ermuntern, die Chance, die sich hier bietet, zu nutzen. Denn es ist ein eindrucksvoller Querschnitt durch die Wissenschaft und ihre vielfältigen Fachrichtungen, der den Mitgliedern des Auswahlausschusses hier gelungen ist. Auch in dieser Hinsicht haben die Juroren meines Erachtens eine gute Wahl getroffen. Das gilt natürlich umso mehr, als sich unter den heute zu Berufenden mehrere finden, die auch schon in den Genuss einer Förderung durch die VolkswagenStiftung gekommen sind – unter anderem in dem bereits erwähnten Programm "Nachwuchsgruppen an Universitäten". Auch das spricht natürlich für die Qualität der Auswahl und für die glückliche Hand des Auswahlgremiums. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal aus der Präambel des "Statuts" der "Jungen Akademie" zitieren. Dort heißt es an der eben angeführten Stelle weiter:
"Die Junge Akademie" wird eine wichtige Kompensationsleistung für das deutsche Wissenschaftssystem erbringen. Sie stellt eine Art Altersscharnier der Elitenbildung und der Flexibilisierung von wissenschaftlichen Karrieren dar und wirkt mobilitätsfördernd. [...] Sie bildet einen institutionellen Rahmen, in dem der Nachwuchs frühzeitig die Fähigkeit zum interdisziplinären Diskurs und spezifisches Interesse für transdisziplinäre und an den Schnittstellen von Wissenschaft und Gesellschaft liegende Fragestellungen entwickeln kann. Auf diese Weise entsteht eine eigenständige wissenschaftspolitische Kraft, die zu einem Instrument der vernunftgeleiteten Gespräche zwischen den Generationen und über die Zukunft der Wissenschaften werden wird. Die Junge Akademie wird auf der Ebene des Nachwuchses als Handlungs- und Ansprechpartner im nationalen und internationalen Kontext für die deutsche Wissenschaft tätig."
Auf die inhaltliche Seite dieses Anliegens, auf das Stichwort "Interdisziplinarität" und die Bedeutung der angestrebten Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft bin ich bereits zu sprechen gekommen. Ich möchte hier aber noch einen weiteren Aspekt hervorheben; und der scheint mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig.
Die Diskussion über die Vorschläge der Expertenkommission zur Reform der Personalstruktur und des Hochschuldienstrechts ist mittlerweile in vollem Gange. Ich will nun auf diese Diskussion, ihre vielfältigen Facetten und vor allem die vielen Unterstellungen und Missverständnisse nicht im Einzelnen eingehen. Dazu ist hier nicht der Ort und auch nicht die Zeit. Ein Element aus dem Vorschlagskatalog möchte ich an dieser Stelle jedoch besonders hervorheben: Ich meine die "Juniorprofessuren", die darauf abzielen, hoch qualifizierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern auf breiter Basis institutionell verankerte und abgesicherte Möglichkeiten früher wissenschaftlicher Selbstständigkeit zu bieten. Solche Konzepte bleiben naturgemäß blass und bloß "theoretisch", solange man nicht ganz konkret Personen nennen kann, die auf Grund ihrer Leistungen in Forschung und Lehre, ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, wissenschaftliche Verantwortung zu übernehmen, und nicht zuletzt auch auf Grund ihrer charakterlichen Stärken in der Lage sind, solche Positionen adäquat zu besetzen und auszufüllen. Denn so tief greifende Strukturveränderungen, wie sie sich – weit über die Problemzonen des Dienst- und Besoldungsrechts hinaus – in den Hochschulen derzeit vollziehen, lassen sich nicht abstrakt realisieren. Es ist eine – freilich oft unzureichend beherzigte – Binsenweisheit, dass das Wichtigste bei Strukturveränderungen am Ende die Personen sind. Und dies gilt auch und gerade für die "Juniorprofessuren". Umso wichtiger und erfreulicher, dass offenkundig durchaus – und damit meine ich natürlich allen voran die Mitglieder der "Jungen Akademie", aber auch Forscherinnen und Forscher wie die von der VolkswagenStiftung geförderten Leiterinnen und Leiter der "Nachwuchsgruppen an Universitäten" – dass also durchaus schon jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereit stehen, die die nötigen Qualitäten und Qualifikationen mitbringen, um die neuen Strukturen mit wissenschaftlichem Leben erfüllen zu können. Diesen hervorragenden Beispielen für "good practice" gilt es mit der neuen Gesetzgebung breiteren Spielraum zu verschaffen, dann braucht uns um die Zukunft unseres Hochschul- und Forschungssystems nicht bang zu sein.
In diesem Sinne wünsche ich den beiden Gründerakademien, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, vor allem aber der "Jungen Akademie" selbst und ihren Mitgliedern viel Glück, Freude bei ihrer Arbeit, ein erfolgreiches Wirken und eine glänzende Zukunft. Sie wird – was immer auch geschieht – unsere gemeinsame Zukunft sein.
Ich danke Ihnen.