Preisfrage 2009

Wer kriegt die Krise?

Viele haben sie längst - die Moderne und die Kultur, die Hochschulen, dort vor allem die Geisteswissenschaften und auch, so hört man, die Vernunft und die Repräsentation. Einige haben sie (wieder) seit kurzem - der Radsport und der deutsche Fußball, vor allem die Banken, und dann die Wirtschaft (und die Wirtschaftswissenschaften). Aber wer bekommt sie noch? Das Klima (oder doch eher das Wetter)? Humboldts Ideale oder die Bologna-Realitäten? Die Studierenden oder die Lehrenden? Die Lehre oder die Forschung? Die Männer? Die Frauen? Gerade weil crisis immer auch Entscheidung bedeutet, fragen wir:

Wer kriegt die Krise?

In diesem Jahr haben uns etwas mehr als 230 Einsendungen erreicht. Wie in den Jahren zuvor machen auch diesmal die Texte den größten Anteil der Beiträge aus, wobei ein Drittel der Texte Gedichte und Essays darstellen, gefolgt von Erzählungen und Kurzgeschichten. Aber auch Drehbücher, Spiele, Audiobeiträge, Kompositionen, Filme, Gemälde und einige Kunstobjekte fanden den Weg zu uns.

Wie auch bei den vorhergehenden Preisfragen kamen die meisten Einsendungen aus Berlin (23%). 8% der Beiträge kamen aus dem Ausland, mehr als die Hälfte davon aus Österreich. Den weitesten Weg legte dieses Jahr eine Einsendung aus Südafrika zurück. Fast wie im letzten Jahr kamen 42% der Einsendungen von Frauen und 51% von Männern.

Für die Publikation im Katalog, der am 25. Juni 2010 bei der Preisverleihung an der Humboldt-Universität in Berlin vorgestellt wurde, wählte die Jury neben den Preisträgern 14 weitere herausragende Beiträge aus. Die Kataloge aller Preisfragen sind in einer Reihe beim Berliner Wissenschafts-Verlag erschienen und über den Buchhandel zu beziehen.

Preisverleihung

Die Preisverleihung fand am 25. Juni 2010 im Fritz-Reuter-Saal der Humboldt-Universität zu Berlin statt.

Das Preisgeld wurde gestiftet von der Commerzbank-Stiftung.

Preisträger

1. Preis

„Wer kriegt die Krise?“ – von Regine Reinhardt und den Klassen 10a und 10b des Gymnasiums Trittau

Regine Reinhardt, geb. 1968, machte nach dem altsprachlichen Abitur ein Lehre bei der Deutschen Bank und studierte dann Kunstgeschichte und Betriebswirtschaftslehre an der TU Berlin. Sie war sie als Journalistin, als Museumspädagogin, als Vortragende, Veranstaltungsorganisatorin, Corporate Design-Workshop-Leiterin sowie Texterin tätig. Im Sommer 2009 folgte sie dem verzweifelten Ruf Schleswig-Holsteins nach Kunstlehrern und übt sich zudem intensiv im Bildhauern, Malen, Schreiben und Gärtnern.

Laudatio der Jury: "Der herausragende Beitrag von Regine Reinhardt und den Schülerinnen und Schülern der Klassen 10a und 10b beschäftigt sich äußerst vielschichtig mit dem Thema 'Wer kriegt die Krise?'. Ausgangspunkt ist die Situation der lehrenden Person selbst. Mit dem Beitrag ?Wer kriegt die Krise?' zeigt Regine Reinhardt, in welche Situation das heutige beschleunigte Bildungssystem Lehrende und Lernende bringt. Insbesondere wird der fehlende Raum für Themen und Inhalte, die außerhalb des Curriculum liegen, thematisiert. Dabei führt die Beschleunigung des Bildungssystems nicht nur zu eher angepassten Schülerinnen und Schülern, sondern auch zu Sinnkrisen bei den Lehrenden selbst. Angeregt durch die Preisfrage hat Regine Reinhardt die Frage 'Wer kriegt die Krise?' in das Zentrum eines Kunstprojekts gestellt. Schülergruppen haben hierzu Themen von Armut, Depression, Wirtschaft bis hin zum Umweltschutz bearbeitet und jeweils eine Skulptur, eine Installation oder Plastik entworfen, die im öffentlichen Raum in Trittau ausgestellt werden soll. Besonders überzeugend fand die Jury die Ehrlichkeit und Offenheit sowie die Ironie und den Witz, mit denen die Schülerinnen und Schüler auf 'Krisen' und 'dem Kriegen von Krisen' in vielerlei Formen künstlerisch hinweisen. Wer öffentlich die Kritiklosigkeit der jungen Generation an den Pranger stellt, sollte sich einige Beiträge besonders genau ansehen."

2. Preis

„Wer nicht?“ – von Lina Salome Hartwieg, Emmy Chirchir, Jan-Peter Horns, Amalia Oganjanyan, und Oscar Schlenker

Lina Hartwieg, geb. 1982. Nach dem Bachelor of Arts in Sozialwissenschaften studiert sie momentan International Media Studies an der Deutsche Welle Akademie/Fachhochschule Bonn-Rhein Sieg. Sie arbeitete zeitweise als Redakteurin und lebt in Köln.

Emmy Chirchir, geb. 1985 in Kenia. Nach dem Lehramtstudium für Deutsch und Sonderpädagogik an der Kenyatta Universität, Nairobi, studiert sie momentan International Media Studies an der Deutsche Welle Akademie/Fachhochschule Bonn-Rhein Sieg und lebt in Bonn.

Jan-Peter Horns, geb. 1979, arbeitet als Kameramann und Cutter und lebt in Köln.

Amalia Oganjanyan, geb. 1985 in Georgien. Nach dem Journalismusstudium studiert sie momentan International Media Studies an der Deutsche Welle Akademie/Fachhochschule Bonn-Rhein Sieg und lebt in Bonn.

Oscar Schlenker, geb. 1982 in Venezuela, studiert nach dem Bachelor of Arts in an der Southern Illinois University momentan International Media Studies an der Deutsche Welle Akademie/Fachhochschule Bonn-Rhein Sieg. Er war neben der Tätigkeit als Video Cutter auch schon als Korrespondent beschäftig und lebt in Bonn.

Laudatio der Jury: "Der Filmbeitrag von Lina Hartwieg, Jan-Peter Horns, Amalia Oganjanyan, Emmy Chirchir, und Oscar Schlenker, Studenten des Matersprogramms 'International Media Studies' der Deutschen Welle Akademie thematisiert die globale 'Umweltkrise', speziell die Folgen der Klimaveränderung.

Die Autoren haben den Filmbeitrag explizit als Antwort auf die ergebnislosen Gespräche beim Klimagipfel in Kopenhagen erstellt. In dem eineinhalb Minuten langen, technisch elegant verwirklichten Beitrag wird der Zuschauer mit den Bildern von Umweltkatastrophen in unterschiedlichen Regionen der Welt konfrontiert, wie im Fernsehen. Gelangweilt schaltet der Protagonist ab - es geht ihn nichts an. Gerade diese Szene regt zum Nachdenken und Reflektieren an. Sie könnte die Gleichgültigkeit der wohlhabenden Regionen gegenüber den Umweltbelangen ärmerer Regionen widerspiegeln, aber auch der Einzelne, der vielleicht auch das eine oder andere Mal gelangweilt die Krisennachrichten abschaltet, kann sich hier wiederfinden. Das danach eingeblendete 'Noch nicht' mahnt dazu, in die Zukunft zu blicken und Verantwortung zu übernehmen in einer Krise, die weltweit alle betrifft."

3. Preis

„Wer kriegt die Krise?“ – von Annika Friese und dem evangelischen Religionskurs der Stufe 11 am Einhard-Gymnasium Aachen

Laudatio der Jury: "'Meine Krise im Alltag ist der Alltag selbst', schreibt Max in seinem Beitrag zu dem Heft 'Wer kriegt die Krise?', das vom evangelischen Religionskurs der Klasse 11 am Einhard-Gymnasium in Aachen entworfen wurde. In dem kleinen Sammelband stellen Schülerinnen und Schüler Passagen der Bergpredigt eigenen Alltagsgeschichten gegenüber, die sich zum eindrucksvollen Panorama ihrer Zukunftssorgen fügen. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegenwartsprobleme werden vielfach thematisiert, gleichzeitig aber im Prisma alltäglicher Krisen gebrochen: Man leidet unter einem langen, anstrengenden Schultag, darunter, zu wenig Zeit für Hobbies, Freunde und Familie zu haben. Man sorgt sich um einen guten Schulabschluss, den künftigen Studienplatz, um Erfolg und Zufriedenheit im Beruf. Trotz all dieser Krisenerfahrungen durchzieht jedoch ein schwacher, nicht immer leicht zu verortender Hauch von Hoffnung den Band, die allerdings weniger verbal denn bildlich manifest wird: im christlichen Taubensymbol der letzten Seite. 'Ach! ohne Hoffnung, wie ich bin, / geb' ich mich doch der Hoffnung hin!' Dieses Zitat aus Richard Wagners Fliegendem Holländer könnte Leitmotiv der Schülerberichte sein. Die Jury der Jungen Akademie verleiht diesem interessanten Versuch von Krisenbetrachtung (vielleicht sogar Krisenbewältigung) den dritten Preis."