Aus der Rede der Juryvorsitzenden zur Preisverleihung: "... die Arbeitsgruppe Traum der Jungen Akademie arbeitete intensiv an der Entwicklung einer alternativen Methode des Traumverstehens. Ihr Ziel war es, Trauminhalte berichts- und interpretationsunabhängig zu erheben. Das Ergebnis dieser Bemühungen schien kurzfristig von Erfolg gekrönt zu sein, in Form des Prototyps einer 'Dream Extraction and Analysis Device', kurz DEAD, die für die schmerzlose und schnelle Extraktion von Schlaf- und Wachträumen aus dem rechten (oder wahlweise linken) Ohr des Probanden entwickelt wurde. Das teure Gerät wurde jedoch inklusive seiner Baupläne wenige Tage vor Inbetriebnahme und Beginn der Testreihe zur Ermittlung der Nebenwirkungen, insbesondere der adystopionalen Letalität von Probanden (kurz ALP), von Unbekannten aus den Laboren der BBAW entwendet und ist bis heute leider unauffindbar.

Überwältigt waren wir von der Anteilnahme zahlreicher nationaler wie internationaler Freunde der Träume, die sich bei Bekanntwerden dieses unwiederbringlichen Verlusts spontan entschlossen, ihre Daten und Hypothesen zur Verfügung zu stellen bezüglich der Frage, wovon wir träumen.

Uns erreichten 180 Einsendungen von Traumforschern zwischen 19 und 63 Jahren, 58% von ihnen, vielleicht wenig verwunderlich, weiblichen Geschlechts. 92% der Einsendungen stammten aus dem deutschen Inland, namentlich aus Berlin (21%), den neuen Bundesländern (11%) und den alten Bundesländern (60%). Was, in Proportion zu den Bevölkerungszahlen gesetzt, zeigt, dass der Osten deutlich weniger, der Westen etwas weniger, der Berliner sich aber 5 mal mehr als der Bundesdurchschnitt mit Träumen beschäftigt.

Im wesentlichen wurden fünf Traumformen mit asymmetrischer Prävalenz identifiziert. Es überwogen sprachliche Träume (mit 52%) gegenüber bildlichen (mit 38%). Weit abgeschlagen folgten Mischformen aus diesen beiden (mit 6%) sowie gegenständliche Träume (mit 4%) und rein akustische (mit 1%). Dieser Befund entsprach, am Rande gesagt, in keiner Weise den Hypothesen der AG Traum, die von einer deutlichen Dominanz bildlicher Träume ausgegangen war. Bereits in diesem Punkt zeichnet sich deutlich der Erkenntniswert der uns erreichten Einsendungen ab: Auch nachts noch reden wir, hören nicht und schauen dann."

Preisverleihung

Die Preisverleihung fand am 5. Juli 2008 im Rahmen der Festveranstaltung der Jungen Akademie in Berlin statt. Die Festansprache hielt Susan Neiman, Philosophin und Direktorin des Einsteinformums Potsdam, die der Preisfrage mit der Gegenfrage begegnete: "Warum sind unser Träume so schlecht?". Anschließend gab die Vorsitzende Christian Fleischhack aus dem Wahlstudio mit Wahlanalysen und Korrespondentenberichten aus Schöneberg und Australien. Dann gab er die Wahlsieger bekannt.

Das Preisgeld wurde gestiftet von der Commerzbank-Stiftung.

Komplette Rede zur Bekanntgabe der Preisträger von R. Schubotz und J. Klein

Preisträger

1. Preis

„Fundsache Erika Mustermann“ – Handtasche mit Inhalt von Jinn Pogy, Berlin, und Gito Ferreira, Lissabon

Jinn Pogy, geb. 1973, lebt in Berlin und seltener in Lissabon. Sie arbeitet als freie Texterin und Mixed Media Artist und ist allein erziehende Mutter. Sie schreibt Lyrik und Prosa, baut mit portugiesischen Künstlerfreunden am "AlPort-Transfer"-Blog, eine Plattform für die deutsch-portugiesische Designer- und Künstlerfreundschaft. Sie glaubt, dass zweckgerichtetes Entwerfen und bewusstes Gestalten als Schlüssel-Kompetenzen in der zukünftigen Gesellschaft unabdingbare Voraussetzung sind.

Gito Ferreira, geb. 1971 in Lissabon, wo er lebt und arbeitet. Mit Abschluss seines Studiums in communication arts arbeitet er seit 1994 als Art Director in verschiedenen internationalen Agenturen in Lissabon und Berlin. In seiner Freizeit spielt er Kontrabass in einer Blues/Roots-Band, was er am liebsten hauptberuflich täte.

Laudatio der Jury: "Der Durchschnitt ist Mittelmaß, per Definition. Nichts, wovon sich zu träumen lohnen könnte - es sei denn in einem durchschnittlichen Nachtschlaf von sieben Stunden Dauer. Doch wovon träumt der Durchschnitt durchschnittlich? Vom Besonderen, lautet die Antwort dieser Einsendung, vom Außergewöhnlichen aber Erreichbaren, Unwahrscheinlichen aber Möglichen, vom Unfassbaren aber nicht Unvorstellbaren. Als Essenz der Durchschnittlichkeit repräsentiert uns Deutsche die Ikone des Personalausweismusters, Frau Erika Mustermann. Hier in Form einer sehr durchschnittlichen Fundsache: ihrer Handtasche. Wer sich nun in etwas unschicklicher Weise und mit den Fingern voran in diese Handtasche vertieft, kann den Träumen des Durchschnitts auf den Grund gehen, und wird feststellen: Frau Erika Mustermann muss eigentlich gar nicht mehr träumen. Warum? Ihre durch und durch durchschnittliche Handtasche versammelt gleich unfassbar viele unwahrscheinlich außergewöhnlicher Besonderheiten. Wir laden Sie ein, inspizieren sie selbst die "Fundsache Erika Mustermann", gefunden von: Jinn Pogy und Gito Ferreira!"

2. Preis

„Kein Problem“ – Text von Kathrin Hamel, Magdeburg

Kathrin Hamel, geb. 1971 in Berlin, verbrachte ihre Schul- und Studienzeit in Magdeburg, wo die Diplomingenieurin auch heute noch mit Mann und kleinem Sohn lebt und seit einigen Jahren in der Pressestelle einer öffentlichen Bank tätig ist. Sie ist ausgezeichnet mit dem Dillinger Literaturpreis 2003 (2. Platz) und Preisträgerin beim Schreibwettbewerb von Buchjournal und Books on Demand 2007. Verschiedene Veröffentlichungen.

Laudatio der Jury: "Von vielem wird geträumt hinter verschlossenen Türen, aber nicht geredet auf offener Straße. Der Beitrag ‚Kein Problem’ erzählt von genau solch einem sonst verheimlichten Traum: dem unerfüllten Traum von eigenen Kindern. An seine Partnerin gewandt, zeichnet der Erzähler die Jahre währende gemeinsame Geschichte nach, die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Glück, dem eigenen Kind, das wieder und wieder verwehrt bleibt. Er erinnert sie und sich selbst an das Hoffen und Enttäuschtwerden im Monatstakt, an die Rat- und Sprachlosigkeit, und an die immer neuen, immer technischeren Maßnahmen, für die die beiden sich schließlich schweren Herzens entschieden haben und die doch nicht halfen. Voller Einfühlungsvermögen geschrieben, versetzt der Beitrag den Leser und die Leserin, in die Träume und Alpträume des Erzählers und seines fiktiven Gegenübers, eines tausendfach existierenden Paars. Die Geschichte "Kein Problem" bricht das Schweigen über diese sehr realen Träume und macht sie in berührender Weise fassbar. Die Arbeitsgruppe Traum verleiht dafür den 2. Preis an Kathrin Hamel."

3. Preis

„Von Würsten“ – Text von Jürgen Nielsen-Sikora, Köln

Jürgen Nielsen-Sikora, geb. 1973 in Köln, Akademischer Mitarbeiter am Historischen Seminar II der Universität Köln. Studium der Philosophie, Pädagogik, Geschichte und Psychologie. Von 2000 bis 2002 Stipendiat der Graduiertenförderung des Landes NRW. Promotion 2002 im Fach Philosophie. Preisträger der Jungen Akademie 2005 und 2007, Preisträger der Salzburger Hochschulwochen (Publikumspreis 2007). Zurzeit Habilitation: „Das Europa der Bürger im Spiegel seiner Geschichte. Eine Spurensuche“.

Laudatio der Jury: „Man kann auch nur davon träumen, eine Wurst mehr zu haben“, behauptete Ernst Bloch im Jahre 1930. Dieses Zitat dient als Einstieg in die furiose Parodie pseudo-philosophischen Jargons „Von Würsten“ – eingereicht in Kombination mit einer vakuumverpackten Dauerwurst bekannter Marke. Angeregt von dem Bloch-Zitat führt uns der Autor durch eine Kette von Reflexionen über die Wurst im Allgemeinen und Speziellen, mit besonderem Schwerpunkt, neben der Tübinger Wurstschule von Bloch, auf der vielfältigen, und nicht immer ganz stubenreinen Bedeutung der Wurst in der Psychoanalyse. In diesem Gedankenfeuerwerk ist es durchaus verzeihlich, dass nicht alle sich anbietenden Zipfel gänzlich verwurstet wurden; so bleibt uns der Autor etwa, wie er selbst zugibt, eine „in sich geschlossene Ausarbeitung des existenzialen Apriori des Wurst-Seins“ schuldig. „Wo Unbewusstes war, soll Bewurstung sein“ – dem zwingenden Argument für diese These konnte die AG Traum sich nicht entziehen. Den dritten Platz der diesjährigen Preisverleihung erhält der (wie es im Anschreiben hieß) Tiertherapeut und Hobbymetzger Dr. Bert. A. Pappenheim – alias Jürgen Nielsen-Sikora.“