ie Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der Behauptung einer Renaissance des Religiösen, die zu einem festen Topos in Wissenschaft und Öffentlichkeit geworden ist und die vorherrschende Säkularisierungsthese auf den Kopf zu stellen scheint.
Sie diskutierte, wie der in der neuzeitlichen Philosophie und Theologie oftmals trivialisierte Wahrheitsanspruch religiöser Rede zu verstehen ist und inwieweit er ein integrales Element des Glaubens darstellt. Vor diesem Hintergrund versuchte sie, sein Verhältnis zum Wahrheitsanspruch der Vernunft angemessen zu klären. Weiterhin fragte die AG danach, wie sich die Rolle der Religionen im öffentlichen Raum angesichts multikultureller Vielfalt und der zunehmenden Fokussierung ethischer Diskussionen auf einen universalen Menschenrechtsbegriff neu bestimmen lässt.
Die Arbeitsgruppe wurde mit Ausscheiden ihres Sprechers Christoph Halbig aus der Jungen Akademie im Sommer 2007 beendet.
Ausführlichere Projektbeschreibung:
Die Säkularisierungsthese hatte zwei Aspekte:
- In deskriptiver Hinsicht besagte sie, dass Religion in post-traditionalen Gesellschaften Prozessen der Pluralisierung und Individualisierung (‚Patchwork-Religiösität’) unterworfen sei und schließlich verschwinde.
- In normativer Hinsicht war damit die Überzeugung verbunden, dass das Religiöse mit seiner Verwurzelung in vorwissenschaftlichen Weltbildern und seiner Verbindung zu autonomiefeindlichen Auffassungen von Ethik über seine Bedeutung als kulturellem Erinnerungstopos hinaus keinen Beitrag zur Verständigung über die normativen Grundlagen moderner Gesellschaften zu leisten vermöchte.
Beide Thesen haben ihre Plausibilität fast vollständig eingebüßt. Der deskriptiven These stehen etwa die gesellschafts- und politikprägende Kraft religiöser Orientierungen in Ländern wie den USA oder Lateinamerika, aber auch das komplexe Wechselverhältnis von Modernisierungsprozessen und religiösen Erneuerungsbewegungen im Bereich des Islam entgegen. Der normativen These hält man entgegen, dass auch freiheitliche, säkulare Staaten auf Voraussetzungen angewiesen seien, die sie selbst nicht garantieren könnten. Dem korrespondiert der Versuch, der mangelnden motivationalen und identitätsstiftenden Kraft von Vernunft- bzw. Diskursethiken durch einen – diese freilich transformierenden – Rückgriff auf religiöse Werte entgegenzuwirken.
Im Kontext dieser Debatten orientierte sich die Arbeitsgruppe an zwei spezifischen Problemkomplexen:
Wahrheitsanspruch des Religiösen
Für das Selbstverständnis religiöser Menschen erscheint der Anspruch auf Wahrheit als zentral. Der gläubige Christ glaubt nicht, ein partikulares Welt- und Selbstverständnis zu vertreten, sondern beansprucht, wahre Aussagen über Natur, Gesellschaft und Mensch zu treffen. Dieser Anspruch wird aus unterschiedlichen, näher zu untersuchenden Gründen in der Diskussion um das Religiöse ausgeblendet: Sowohl in der Philosophie als auch in der neuzeitlichen Theologie sind Deutungen religiöser Rede ausgearbeitet worden, der zufolge diese nicht die Funktion hat, Behauptungen über die Realität zu treffen, sondern etwa Gefühle ("Sinn und Geschmack fürs Unendliche") oder ethische Orientierungen zum Ausdruck zu bringen. Und im Bereich der Ethik gelten, selbst wenn man dem Religiösen motivationale Ressourcen konzediert, religiöse Ansprüche auf die Richtigkeit von Verhaltensnormen als intolerant gegenüber divergierenden Überzeugungen und erscheinen mithin als latenter Fundamentalismus.
Im Rahmen der AG-Arbeit wurde demgegenüber davon ausgegangen, dass die Frage des Wahrheitsanspruchs des Religiösen keine triviale ist. Philosophisch sollte geprüft werden, inwieweit der Wahrheitsanspruch ein integrales Element des Glaubens (zumindest in seinen theistischen Formen) oder eher Resultat einer äußeren (etwa philosophischen) Überformung ist und wie er sich zum Wahrheitsanspruch der Vernunft verhält. Mit Blick auf andere wissenschaftliche Disziplinen (etwa Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft, Soziologie) war damit die scheinbar erledigte Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen erneut zu diskutieren. Eine solche interdisziplinäre Diskussion konnte die akuten Probleme des interreligiösen Dialogs auf eine solidere Grundlage stellen.
Stellung der Religionen im öffentlichen Raum
Die Trennung von Religion und Politik gilt als eine entscheidende Errungenschaft der abendländischen Geschichte. In ihrer europäischen Ausprägung ist sie freilich gebunden an historische Erfahrungen (Investiturstreit, Konfessionskriege) und geistesgeschichtliche Entwicklungen (Aufklärung, theologische Rationalisierung), die in anderen religiösen Traditionen ausgeblieben sind.
Auch innerhalb des Christentums zeigen sich Tendenzen, selbst auf der Basis einer grundsätzlichen Akzeptanz der Trennung von Kirche und Staat über die Vermittlung unaufgebbarer moralischer Normen zumindest ex negativo Leitlinien politischen Handelns zu formulieren. Überdies hat sich die konfessionelle Homogenität politischer Räume in den multikulturellen Gesellschaften des Westens weitgehend aufgelöst. Die Koexistenz verschiedener Religionen stellt überkommene nationalstaatliche Institutionen hier ebenso auf die Probe wie die gleichzeitige Herausbildung eines auf den Begriff der Menschenrechte gestützten universalen Ethos, das paradoxerweise gerade durch partikulare Religionsgemeinschaften zur Verteidigung ihrer Rechte (zum Beispiel in der Frage von Reinheitsgeboten) in Stellung gebracht wird.
Im Rahmen der AG-Arbeit wurden die sich hier ergebenden Konstellationen deskriptiv aus unterschiedlichen Perspektiven (etwa Geschichtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft) beleuchtet, um dann nach den normativen Implikationen für eine Neubestimmung der Rolle von Religion im öffentlichen Raum zu fragen (Philosophie, Rechtswissenschaft).